Wie alles begann
Wir sind eine kleine Außenstelle des Förderzentrums Wichernschule, Schwerpunkt Lernen und Sprache mit Sitz in Königslutter. Schon vor Gründung der GenussWerkstatt zeichnete sich die Schule durch Arbeitsschwerpunkte in den Bereichen Hauswirtschaft (regelmäßiger Mensabetrieb, Catering) und gestaltendes Werken (Weihnachtsmärkte) aus. Anfang 2012 kam eine Partnerschaft mit dem Arbeitskreis Lokale Agenda 21 zustande. Dabei ging es zunächst um den Bau von Flechtzäunen in einem Naturschaugarten. Wir erkannten sehr schnell, dass in den Obstbäumen noch jede Menge Potential für uns stecken könnte: Obst ernten, verarbeiten und donnerstags auf dem Wochenmarkt verkaufen. So entstand eine ganz besondere Projektidee für den Bereich Berufsorientierung:
Die GenussWerkstatt…….
Seit Beginn des Schuljahres 2012/13 ist der Donnerstag unser Praxistag. Die Schüler der Klassen 7-9 hatten zunächst die Möglichkeit, die drei Arbeitsbereiche Küche (Produktion), Büro (Buchführung, Marketing, Etiketten, Inventur) und Wochenmarkt (Verkauf) kennenzulernen. Es schloss sich eine schriftliche Bewerbungsphase an, die nach persönlichen Bewerbungsgesprächen mit externen Partnern zu „Einstellungen“ in einem Arbeitsschwerpunkt führte. Darüber hinaus hatten wir eine Produktionsklasse eingerichtet, deren Stundentafel mehr Praxisanteile aufwies: Dreimal wöchentlich 3 Stunden Hauswirtschaft und an einem Tag 4 Stunden Werkunterricht. Das Besondere daran war, dass die Aufnahme auf absoluter Freiwilligkeit beruhte. Alle Beteiligten (Eltern, Schüler, Lehrer) unterschrieben einen Vertrag, der von jedem Vertragspartner gekündigt werden konnte. Neben den regulären Zeugnissen erhielten und erhalten alle „GenussWerkstatt-Schüler“ ein Arbeitszeugnis, das Auskunft über die berufsrelevanten Kompetenzen des jeweiligen Arbeitsbereiches gibt.
Unsere Arbeitszeiten waren und sind flexibel. In der Erntezeit, bei Cateringaufträgen, auf Weihnachts- und Bauernmärkten muss länger gearbeitet werden. Diese Mehrarbeit ist grundsätzlich freiwillig. Jeder Schüler, der sich dafür entscheidet, verfügt über ein individuelles Arbeitszeitkonto, das in den Wintermonaten ausgeglichen oder mit Geld vergütet werden kann.
Außerdem erhalten nach wie vor alle Schüler, die neu in das Projekt kommen, eine Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz, die von einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes durchgeführt wird.
Viele Dinge sind gleich geblieben, andere mussten wir im Lauf der Zeit verändern, weil immer weniger Schüler unsere Schule besuchten. 2018 durften uns zum ersten Mal wieder Fünftklässler anwählen, was uns riesig gefreut hat! Mittlerweile sind alle Schüler der Schule Teil der GenussWerkstatt. Der Donnerstag ist immer noch unser Praxistag, aber den Umfang der Hauswirtschaftsstunden mussten wir leider ein wenig kürzen. Die Produktionsklasse gehört genauso der Vergangenheit an wie unsere Präsenz auf dem Wochenmarkt. Stattdessen betreiben wir jetzt in unserem Schulgebäude ein Ladengeschäft, das in der Schulzeit täglich geöffnet ist. Längst ist die GenussWerkstatt viel mehr als „nur“ ein Projekt zur Berufsorientierung, es ist ein Unterrichtsmodell: „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“. Wir erkennen ständig neue Möglichkeiten, die in diesem Ansatz stecken und staunen darüber, wie erfolgreich Lese- und Rechenlernprozesse verlaufen können, wenn sie über die Umsetzung von Rezepten erfolgen.
…….. und was das ganz Besondere daran ist
Das Projekt ist so vielfältig wie die Leistungsfähigkeit der Schüler. Durch den regelmäßigen Verkauf, die Erweiterung bzw. Veränderung der Produktpalette (Marktanalyse), die Optimierung von Produktionsabläufen und die Akquise weiterer Absatzmöglichkeiten kommen wir echten Betriebsstrukturen sehr nahe. Durch die Betriebsform, seit dem 17.12.2012 sind wir eine nachhaltige Schülergenossenschaft, übernehmen die Schüler im Vorstand und Aufsichtsrat Verantwortung. Sie entscheiden über Investitionen, Gewinnverteilung und Produktveränderungen mit. Und wie jede andere Firma, werden auch wir einmal im Jahr durch einen externen Prüfer des Genossenschaftsverbandes geprüft. Von August 2017 bis März 2022 waren wir zudem biozertifiziert und haben unser Angebot in diesem Bereich kontinuierlich erweitert. Wirtschaftliche Überlegungen führten dann aber zur Kündigung des Vertrages.
Über den Verkauf wird unsere Arbeit öffentlich, Schüler und Lehrer erleben echte, unmittelbare Wertschätzung für ihr Tun. Eine Erfahrung, die Förderschülern nicht so häufig widerfährt und die gleichzeitig eine enorme Auswirkung auf die Ausbildung berufs- und lebensrelevanter Soft Skills wie Verlässlichkeit, Freundlichkeit, Teamfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit hat. Durch die Verkaufsgespräche entwickeln sich geradezu zwangsläufig kommunikative Kompetenz und Selbstbewusstsein. Diese positiven Veränderungen spiegeln uns nicht nur die Kunden, sondern auch die Praktikumsbetriebe wider.
Über die GenussWerkstatt ist es uns gelungen, eine Corporate Identity zu schaffen, die sich äußerlich im Tragen eines Logo – T-Shirts manifestiert. Und zu guter Letzt macht es auch noch Spaß, in einem Projekt zu arbeiten, das völlig neue Wege geht und bei dem die Freude am Kochen und Essen eine zentrale Rolle spielt.